Das Schiff

Das Schiff ist mit gutem Grund zu einem Wahrzeichen der Wikingerzeit geworden. Seetüchtige Schiffe und gute Seemannschaft waren die Grundlage für die Einigung des Inselreiches Dänemark und eine Voraussetzung für die vielen Fahrten der Wikinger in die Welt hinaus. Die westeuropäischen Quellen der damaligen Zeit geben nur wenig Aufschluss über Schiffe und Seefahrt, dagegen kommt in der jüngeren Saga-Dichtung die gesellschaftliche Bedeutung des Schiffes mehr zu ihrem Recht. Ganz entscheidende Einblicke in den Schiffsbau der damaligen Zeit vermitteln indes die archäologischen Funde.

Klassiker der Wikingerschiffsforschung sind die beiden norwegischen Grabkammerschiffe, das Oseberg-Schiff und das Gokstad-Schiff, die 1904 und 1880 an der Westseite des Oslofjords ausgegraben wurden. Es handelt sich um königliche Prunkschiffe, deren Bau ungefähr auf das Jahr 800 bzw. 900 datiert wird. Aus Dänemark ist ebenfalls ein Schiffsgrab bekannt, und zwar das Ladby-Schiff auf der Insel Fünen.

Die nordischen Schiffsbauer bemühten sich beim Bau ihrer Fahrzeuge um Leichtigkeit, Robustheit und Elastizität. Typisches Merkmal des Wikingerschiffs ist, dass Bug und Heck spitz zulaufen, mit gleichmäßig gewölbtem Übergang vom Kiel zum Steven. Spanten und Balken der inneren Versteifung sind in symmetrischen Abständen quer angebracht und über die ganze Länge des Schiffes gleichmäßig verteilt. Die Konstruktion der äußeren Bootsschale zeigt Klinkerbauweise, d.h. Planken, die sich entlang der Kanten überlappen. Gesteuert wurde das Schiff mit einem Seitenruder, das im Heck des Fahrzeugs in Fahrtrichtung rechts angebracht war. Antriebsmittel waren Segel und Riemen. Das Schiff hatte einen Mast und ein viereckiges Segel, ein Rahsegel.

Die Schiffe der Wikingerzeit lassen sich - etwas vereinfacht - in zwei Kategorien einteilen: Handelsschiffe und Kriegsschiffe.

Die Handelsschiffe waren, im Verhältnis zu ihrer Länge, hoch und breit gebaut. Sie hatten vorn und achtern ein Halbdeck, sowie mittschiffs einen offenen Raum für die Ladung. Die Handelsschiffe waren nur mit wenigen Riemen ausgerüstet, die für besondere Manöver gedacht waren, ansonsten aber waren sie ausschließlich für die Fahrt unter Segel konstruiert.

Die Kriegsschiffe waren in Relation zu ihrer Länge niedrig und schmal, und hatten über die ganze Länge des Schiffs ein Deck. Die Löcher für die Riemen in der Bordwand waren gleichmäßig über das ganze Boot verteilt, jeweils zwei in den Spanten-Zwischenräumen. Die Kriegsschiffe waren kombinierte Segel- und Ruderfahrzeuge.

Die Vielfalt des Schiffsbaus der Wikinger wird durch den Fund der fünf Wikingerschiffe von Skuldelev im Roskilde Fjord (Seeland) eindrucksvoll veranschaulicht. Die Schiffe, bei denen es sich um ausgediente Fahrzeuge handelte, waren mit Steinen gefüllt und Mitte des 11. Jahrhunderts hier versenkt worden, um eine der Fahrrinnen zu der wichtigen Handelsstadt Roskilde zu sperren. 1962 wurde um die Sperre eine Spundwand in den Meeresboden gerammt, das Wasser abgepumpt und die Schiffe ausgegraben.

Die fünf Skuldelev-Schiffe repräsentieren fünf unterschiedliche Schiffstypen - zwei Handelsschiffe, zwei Kriegsschiffe und eine Fähre oder ein Fischerboot.

Bei dem größten Handelsschiff handelt es sich um ein kräftiges Frachtschiff von 16,5 m Länge und 4,5 m Breite, wahrscheinlich vom Typ "Knarr" - hochseetüchtige Frachtschiffe, die u.a. auf dem Nordatlantik bis nach Island, Grönland und Nordamerika segelten. Das Schiff wurde aus Fichten-, Eichen- und Lindenholz gebaut, vermutlich in Südnorwegen, da es zur Wikingerzeit in Dänemark sehr wenig Fichtenbestände gab. Das Schiff, das 20-25 Tonnen Ladung befördern konnte, war mit einem Rahsegel von rund 86 qm Fläche als Antriebsmittel ausgestattet.

Das kleinere Handelsschiff ist ein aus Eichenstämmen elegant geformtes, 14 m langes und 3,4 m breites Fahrzeug. Das Schiff war gut geeignet für die Fahrt in den dänischen Gewässern und auf der Ostsee, und hatte eine Besatzung von 4-5 Mann. Die Segelfläche betrug 45 qm, und das Schiff konnte eine Ladung von 5 Tonnen aufnehmen.

Das kleinste Kriegsschiff aus dem Skuldelev-Fund ist aus Eichen-, Eschen- und Fichtenholz gebaut. Mit seinen 17,5 m Länge und 2,5 m Breite bot es Platz für 13 Riemenpaare und eine Besatzung von insgesamt 30 Kriegern. Entlang der äußeren Relingkante war ein Riemen angebracht, an dem die Schilde der Mannschaft befestigt waren.

Bei dem zweiten Kriegsschiff von Skuldelev handelt es sich um ein sogenanntes Langschiff von rund 30 m Länge und 4,5 m Breite; es bot Platz für 30 Riemenpaare und eine 60-100 Mann starke Besatzung. Das Schiff ist aus Eiche gebaut, und Analysen des Holzes haben ergeben, dass es wahrscheinlich gegen Ende der Wikingerzeit in Irland, in der Nähe von Dublin gebaut wurde. Das Schiff hatte ein Rahsegel mit einer Segelfläche von etwa 150qm.

Das letzte Fahrzeug des Skuldelev-Fundes ist ein kleines, 12 m langes und 2,5 m breites Lastenboot. Es ist aus Fichtenholzplanken gebaut und könnte als Fischereifahrzeug oder Fähre gedient haben.

Die Segeleigenschaften der Wikingerschiffe sind jahrelang viel diskutiert worden. Um dieses Problem näher zu untersuchen, wurden im Laufe der letzten zehn Jahre auf wissenschaftlicher Basis von drei der Skuldelev-Schiffe naturgetreue Kopien gebaut. 1983 lief nahe bei Ålesund in Norwegen ein Nachbau des großen Handelsschiffs, der "Knarr", vom Stapel. Das nachgebaute Schiff mit dem Namen "Saga Siglar" befand sich 1984 auf Weltumsegelung, wobei der erste Teil der Fahrt auf der alten Wikinger-Route über den Nordatlantik nach Island und Grönland führte (Buchtipp: Saga Siglar - Die erste Weltumseglung im offenen Wikingerboot, Ragnar Thorseth, 128 S., zahlreiche Abbildungen, Delius Klasing Verlag Bielefeld, 1992, ISBN 3-7688-0727-4).

1984 wurde in Roskilde eine Kopie des kleinen Handelsschiffs unter dem Namen "Roar Ege" zu Wasser gelassen. Beim Bau des Schiffes wurde die gleiche Technik angewandt, die sich bei dem gefundenen Original erkennen lässt, d.h. ganz ohne Verwendung einer Säge, sondern mit der Axt als wichtigstem Werkzeug für das Spalten und Behauen aller Schiffsteile. Das Schiff wurde mit modernen elektronischen Messgeräten ausgestattet, mit denen sich die Bewegungen des Fahrzeugs über dem Meeresboden genau registrieren lassen. Seitdem wurde das Schiff unter allen erdenklichen Wind- und Wetterverhältnissen erprobt.

Schließlich lief im Herbst 1991 ein Nachbau des kleinen Kriegsschiffes von Skuldelev vom Stapel. Die Kopie erhielt den Namen "Helge Ask" und soll in den kommenden Jahren die gleichen Versuchsfahrten unternehmen wie die "Roar Ege". Wesentlichste Eigenschaften für Handelsfahrzeuge waren Tragfähigkeit und Seetüchtigkeit, während für Kriegsschiffe Geschwindigkeit und gute Manövriereigenschaften entscheidend waren.

Die bisherigen Fahrversuche mit den beiden Kopien der Handelsschiffe von Skuldelev bieten eine gute Grundlage für eine Bewertung der Segeleigenschaften der Frachtschiffe. Die Versuche bilden die Basis für die Schlussfolgerung, dass man bereits in der Wikingerzeit einen Standard in der Segelschifffahrt erreicht hatte, der genauso hoch war wie bei den kleineren Handelsschiffen kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als die Epoche der Segelschiffe zu Ende ging.

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